Die erbrechtliche Ausgleichung / Ist geschenkt wirklich geschenkt?
Thomas J. Wenger, Notar
Michel Jost, MLaw
Stellen Sie sich vor, Sie hätten einem Ihrer künftigen Erben zu Lebzeiten eine Schenkung ausgerichtet. Je nachdem, an wen und was geschenkt wird, regelt das Gesetz unterschiedlich, ob und wie die Zuwendung später im Rahmen der Erbschaft zu berücksichtigen ist. Allenfalls muss sich der Beschenkte die Zuwendung nämlich auf seinen Erbteil anrechnen lassen (sogenannte Ausgleichung).
In den Artikeln 626 ff. ZGB ist vorgesehen, dass gesetzliche Erben gegenseitig verpflichtet sind, alles zur Ausgleichung zu bringen, was ihnen der Erblasser lebzeitig auf Anrechnung an den Erbanteil zugewendet hat.
Die Ausgleichung erfolgt, indem in einem ersten Schritt die ausgleichungspflichtigen Zuwendungen – entweder tatsächliche Einwerfung in natura (Naturalausgleichung) oder nur rechnerisch durch Anrechnung dem Wert nach (Wertausgleichung) – zum reinen Nachlass hinzugefügt werden (Art. 628 ZGB). Daraus resultiert die Erbteilungsmasse, die im zweiten Schritt entsprechend den Erbquoten auf die Berechtigten verteilt wird.
Grundsätzlich gilt, dass Schenkungen an die zukünftigen Erben nur dann der Ausgleichungspflicht unterliegen, wenn der Schenker dies angeordnet hat.
Nun sieht das Gesetz aber die Ausnahme vor, dass unentgeltliche Zuwendungen an die Nachkommen unter der Ausgleichungspflicht stehen, soweit sie Ausstattungscharakter haben, ausser der Schenker bestimmt ausdrücklich das Gegenteil. Ausstattungscharakter bedeutet, dass die Zuwendung der Existenzbegründung, -erweiterung oder -sicherung dient.
In diesem Zusammenhang hat das Bundesgericht den Ausstattungscharakter bei Grundstückschenkungen von erheblichem Wert bejaht. Möchten Sie einem Ihrer Nachkommen also ein Grundstück schenken, so müssen Sie diesen ausdrücklich von der Ausgleichungspflicht befreien, um im Ergebnis wirklich eine Besserstellung zu erreichen. Andernfalls erfolgt eine Anrechnung an den Erbteil.
Schenken Sie einem Nachkommen dagegen ein Motorboot, so fällt dieses nicht automatisch unter die Ausgleichungspflicht, da der Ausstattungscharakter fehlt (von der Ausnahme einmal abgesehen, dass der Nachkomme Berufsfischer ist). Eine Ausgleichungspflicht müsste diesfalls also ausdrücklich angeordnet werden.
Auslagen des Erblassers für die Ausbildung seiner Kinder sind nur dann auszugleichen, wenn sie das übliche Mass übersteigen. Ausserdem sieht das Gesetz vor, dass übliche Gelegenheitsgeschenke nicht unter die Ausgleichungspflicht fallen. In beiden Fällen steht es dem Erblasser frei, im Einzelfall die Ausgleichung anzuordnen.
Die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen führen nicht in jedem Fall zu einer Gleichbehandlung. Die Erfahrung zeigt zudem, dass die Betroffenen sich über die erbrechtliche Konsequenz einer Zuwendung nicht immer bewusst sind. Ausserdem bestehen oft Abgrenzungsfragen. Es ist darum in aller Regel sinnvoll, bei lebzeitigen Zuwendungen die Frage der Ausgleichung ausdrücklich zu regeln.
Es steht dem Erblasser grundsätzlich frei, den Ausgleichungspflichtigen nachträglich (beispielsweise in seinem Testament) davon zu dispensieren. Soll dies nicht passieren, so empfiehlt es sich, die Verpflichtung zur Ausgleichung unter Mitwirkung der Ausgleichungsberechtigten erbvertraglich zu vereinbaren.
Wir beraten und unterstützten Sie gerne im Zusammenhang mit Ihrer Nachlassplanung und stehen Ihnen mit unserer langjährigen Erfahrung gerne zur Verfügung.